Jeder hat ab und zu das Gefühl, ein Versager zu sein. Das ist völlig normal und okay. Gar kein Grund zur Beunruhigung. Der Trick besteht darin, dass wir jedes eigene Versagen wahrnehmen und die vielen kleinen Versagen von anderen gar nie zu sehen bekommen. Hier könnt ihr lesen, warum ich oft denke, ich bin ein Loser.
Wir und die Realität
Es ist doch so: Man hat eine Vorstellung vom eigenen Idealzustand und wird den nie erfüllen können, da es eben genau das ist. Ein Ideal. Das ist die Version von uns, die wir gerne als Statue für die Nachwelt mitten auf den Stadtplatz stellen möchten, damit kommende Generationen im Schatten unseres Glanzes stehen. Mit offenen Mündern sollen sie die überlebensgrosse Persönlichkeit betrachten und denken: «Wow, so grossartige Taten werde ich nie im Leben vollbringen.»
Der Haken ist nur: Niemand ist ein Übermensch
Die Realität sieht eher so aus, dass wir uns von einem Fehlschlag zum nächsten hangeln. Mit Ach und Krach schaffen wir es durch den Tag und haben dann keine Lust mehr, uns den wirklich wichtigen Dingen zuzuwenden wie Haushalt, soziales Netzwerk oder Hobbys. Zumindest ist das bei mir so. Aber dann bin ich auch nur ein Loser. Ich gebe es zu.
Beichte
Ich bin ein Loser. Ein Versager. Ein kleines Licht. Nicht die hellste Kerze auf der Torte. Nie das beste Pferd im Stall.
Kennst du das Gefühl?
Na dann, willkommen im Klub der anonymen Flaschen! Du bist nicht allein. Wir alle scheitern. Ständig.
Um euch allen Mut zu machen, zu euren gescheiterten Projekten zu stehen und sie liebevoll zu Grabe zu tragen nach der Obduktion, erzähle ich euch von meinem gescheiterten Traum:
Ich liebe Bücher. Ich kann mich Tagelang mit guten Büchern im Zimmer verkriechen und bin am Ende meiner Ferien erstaunt, wohin denn all die Zeit verflogen ist und ich schon wieder nichts von der To-Do-Liste erledig bekommen habe. Ja, es sind die langweiligsten Ferien, die sich meine Arbeitskollegen vorstellen könnten und die nur die Herzen von Bibliophilen höherschlagen lassen.
Entsprechen belesen bin ich. Und jeder, der ein Buch nach dem anderen verschlingt, formt in den hintersten Winkeln seines Gehirns früher oder später den folgenden Gedanken: Das kann ich auch. Ich schreibe ein Buch.
Ich habe mir ausgemalt, wie es wäre, das gedruckte Exemplar im eigenen Bücherregal stehen zu haben und mir ab und zu einen Blick auf das Buchcover zu gönnen. Mir selbst auf die Schulter zu klopfen. Vielleicht streiche ich liebevoll mit der Hand den Buchdeckel. Immerhin ist es doch so etwas wie das Baby meiner Gehirnwindungen.
Die Realität sieht leider anders aus: EPIC FAIL
Ich habe ein zerknittertes Bündel Papier mit dem Plot, jede Menge Dateien mit Recherchen und eine Textdatei, auf der ich ungefähr einen Viertel der Geschichte in schlechtem Deutsch hingerotzt habe. Letztes Bearbeitungsdatum liegt irgendwann weiter als sechs Monate zurück.
Das traurigste daran ist, dass es nicht meine erste literarische Totgeburt ist. Da gab es vor langer Zeit einen ähnlichen Fall und je weiter ich in meinen Gedanken grabe, finde ich noch einige anderen Geschichten-Leichen in meinem Hirn. Erstaunt halte ich inne und frage mich, woher denn all diese Leichen in meinen Keller gekrochen kamen.
Nirgendwo her. Die habe ich alle ganz allein im Schutze der Dunkelheit im Keller versteckt. Ohne fremde Hilfe. Wenn ich mich recht besinne, wollte ich all diese Projekte voller Elan angehen und habe sie dann einfach vergessen. Oder verdrängt. Oder gar nie begonnen. So auf Papier, meine ich. In meinem Kopf war die Story ausgereift. Es war einfach zu mühsam, sie zu tippen. Braucht ja viel Zeit. Und die liegt vor lauter Leben nicht einfach so auf der Strasse rum. Da müsste ich noch Abstriche in meine Bequemlichkeit machen. Und das geht schon mal gar nicht.
Tschüss Motivation
Ich hatte eine grandiose Idee und plottete darauf los. Als nächstes recherchierte ich und schmückte die Story mit neu gewonnen Fakten und Ideen aus. Danach geht’s ans Schreiben. Und hier geschieht es für gewöhnlich im ersten Viertel: die Motivation verabschiedet sich. Ihr ist es zu langweilig geworden, dumm bei mir herumzusitzen, mir beim Schreiben über die Schulter zu schauen und mich ständig mit «und was passiert dann?» anzutreiben.
Also, die Motivation schleicht zuerst gelegentlich aus dem Raum, während ich am Schreiben bin. Ihre Besuche und Fragen nach der Story werden immer seltener, bis sie schliesslich nie mehr vorbeischaut.
Unterdessen habe ich mich daran gewöhnt, dass die Motivation eine schlechte Partnerin ist in langatmigen Projekten. Deshalb halte ich noch eine Weile ohne sie durch. Doch dann geschieht es: Ich lasse einen Schreibtag sausen.
Darauf folgt nach kurzem Abstand der nächste Aussetzer. Und dann noch einer. So schleicht die Disziplin auch von Dannen. Erst nach geraumer Zeit wird mir bewusst, dass ich bereits seit einem Monat keinen Finger mehr für mein Buch krumm gemacht habe. Ich beschliesse, mich ein zweites Mal dahinterzuklemmen.
Teufelskreis des Scheiterns
Beim zweiten Anlauf ist die Dringlichkeit nicht mehr so hoch wie zu Beginn. Schneller als beim ersten Mal wiederholt sich der Kreis des Versagens. So stehe ich plötzlich vor der Entscheidung, ob ich endgültig das Handtuch werfe, oder ob ich mich ein weiteres Mal aufbäumen will. Die Abwärtsspirale ist bereits in vollem Gang. Ich bin in die Maschinerie des Teufelskreises geraten und beschliesse deshalb, alles sein zu lassen.
Um nicht schlechter von mir zu denken als ohnehin schon, beschliesse ich, das Projekt abzubrechen. Ich achte fein säuberlich darauf, die nächsten Wochen alles zu umgehen, was mich daran erinnern könnte. So verdränge ich den Fehlschlag Stück für Stück, bis es sich anfühlt, wie eine Geschichte, die jemand anderem vor langer Zeit passiert ist.
„Der Freund von der Cousine meines Lieblingskassierers hat mal versucht ein eigenes Buch zu schreiben. Er ist gescheitert am ersten Viertel. Was für ein Loser.
Ich könnte das bestimmt besser…“
Gründe fürs Scheitern
Nein, ich kann es nicht besser. Ich kann es nicht.
Dieses Eingeständnis ist wichtig, für den neuen Anlauf. Ich mag ein Loser sein, aber ich bin nicht verrückt genug zu glauben, dass alles besser wird beim nächsten Anlauf, ohne dass ich etwas an meiner Methode ändere. Um den Selbstbetrug zu überwinden, habe ich mich auf meinen Allerwertesten gesetzt und über die Gründe nachgedacht, die mich immer wieder scheitern lassen. Hier die wichtigsten.
- Das Buch ist nicht dringend genug. 1001 wichtige Dinge schwirren mir im Kopf herum. Ich erledige nur die Dringendsten, oder diejenigen, die schnell erledigt werden können.
- Mir geht die Puste aus. Kurzgeschichten schreiben kann ich. Das habe ich mir oft genug bewiesen. Aber ein Roman ist ein völlig anderes Biest. Der Endboss. Das Glücksgefühl bei einem beendeten Kapitel ist nicht annähernd so befriedigend, wie ein kompletter Abschluss. Hier ist Durchhaltewillen gefragt.
- Ich verzettle mich. Auch die behandelten Themen und Charakteren sind komplexer als in einer Kurzgeschichte. Früher oder später blicke ich nicht mehr durch. Oder die einzelnen Erzählstränge finden nicht freiwillig zusammen.
- Angst vor einem miesen Output. Okay, das müsste ganz Oben auf der Liste stehen. Das Problem ist bei einem Perfektionisten omnipräsent. Ich höre auf zu schreiben, weil ich mir zu viele Gedanken mache, dass es nicht gut genug ist. NICHT GUT GENUG!!! Die Worte rennen Amok in meinem Kopf und ich falle in eine Schockstarre.
- Angst, bewertet zu werden. Jetzt wird’s spannend. Jetzt sind wir tief im Kaninchenbau der negativen Gedanken angelangt. Ich sorge mich so sehr, was andere zu meinem Buch sagen könnten, dass ich es gleich lasse. Damit exponiere ich mich nicht und biete keine Angriffsfläche.
Und der Klassiker:
- Das Einhorn hat meine Tastatur gefressen. Dieser Spruch ist bei Erwachsenen eher bekannt als: Keine Zeit.
Im Ernst: Ich wollte diesen Grund nicht aufführen, da er offensichtlich eine Ausrede ist. Das ist die Ausrede, wenn wir ungeliebte Treffen schwänzen und die Steuererklärung zu spät einreichen. Eigentlich bedeutet keine Zeit oft «keine Lust, ist mir nicht wichtig genug».
Genau deshalb bekommt die Ausrede Nr. 1 einen eigenen Bullet Point.
Fazit
An diesen sechs Punkten scheitere ich immer wieder. Diese Punkte lassen mich immer wieder auflaufen. Solange ich keinen effektiven Hebel für diese Punkte finde, werde ich mein Buch nicht fertig schreiben können. Und es geht nicht nur mir so.
Deshalb vergesst nicht: Ihr seid nicht allein.
Ich werde in diesem Blog immer wieder vom Scheitern schreiben, weil Rückschläge unumgänglich sind auf dem Weg zum Erfolg.
Bis zum nächsten Mal
Euer Reggy
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